Einleitung
Wir wissen viel über Johannes Kepler und sein Lebenswerk. Aber die Anerkennung, die er heute weltweit geniest, kam nur sehr schwer zustande. Um ein Haar wären all seine Errungenschaften nicht in die Öffentlichkeit durchgedrungen. Mich fasziniert es sehr, wie die Informationen zu seiner Person und seinen Arbeiten zusammengetragen wurden und deren Bilder immer vollständiger werden.
Kepler war zu seiner Zeit durchaus schon bekannt, denn sonst hätte er nicht für so berühmte Arbeitgeber, wie Tycho Brahe, Kaiser Rudolph II oder Wallenstein gearbeitet. Aber sein Lebenswerk kam eben auch in 12 Jahren des 30-jährigen Krieges heraus. In dieser Zeit hatten sehr viele Menschen einfach andere Sorgen und Bedürfnisse, als die Erkenntnisse des genialen Mathematikers, Astronomen und Astrologen zu verstehen. Natürlich haben seine Hauptwerke, wie die Astronomia Nova 1609, die Dioptrice 1611 oder die Harmonice mundi von 1618 die Zeiten gut überstanden. Es waren eben verlegte Bücher mit ausreichender Stückzahl. Aber die Genialität Keplers erkennt man teilweise erst, wenn man seine zahlreichen Abhandlungen oder Korrespondenzen studiert. Und gerade solche Einzelstücke, wie z.B. Briefe, die verlieren sich schnell in der Geschichte. Sie machen aber den Unterschied aus, wenn man den dahinterstehenden Menschen mit seinen Gedankengängen wirklich verstehen möchte.
Der Arbeit der nachfolgenden Personen ist es zu verdanken, dass wir heute so viel über Johannes Kepler wissen. Dafür bin ich persönlich sehr dankbar.
Keplers Biographen
Leibniz, Junius und Hansch


Einige Jahre nach dem dreißigjährigen Krieg erholte sich der wissenschaftliche Geist in Europa und Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) setzte sich mit den Arbeiten Keplers auseinander. Auch andere Mathematiker, wie Prof. Ulricus Junius (1670-1726) und Michael Gottlieb Hansch (1683-1749) – beide aus Leipzig – wollten die Errungenschaften Keplers bekannter machen. Dies erwies sich aber als schwierig. Zum einen gab es durch die Wirren des Krieges keine zentral gesammelten Werke Keplers. Diese mussten ca. 50 Jahre nach Keplers Tod zunächst einmal wieder gefunden und zusammengeführt werden.

Hansch gelang es, einen über 20 Bände umfassenden, handschriftlichen Nachlass Keplers zu erwerben. Durch Leibnitz ermuntert wollte er diesen auch publizieren. 1718 konnten sie mit kaiserlicher Unterstützung knapp 500 Briefe veröffentlichen – meist leider nur an und nicht von Kepler geschrieben. Danach gab es aber unter anderem keine finanziellen Mittel mehr und das Projekt wurde beendet.
Christian von Frisch

Es sollte noch einmal über 100 Jahre dauern, bis der Schwabe Christian Frisch (1807-1881) einen neuen Versuch der Veröffentlichung wagte. Auch er war ein Mathematiker und daher von Kepler begeistert.
Etwa 4 Jahre benötigte er für seine Vorbereitung. Er veröffentlichte 8 Bände in den Jahren 1858 bis 1871. Seine Arbeit war die Grundlage für viele Kepler Biographen nach ihm. Für die Menge an Material, die er sichten konnte, haben sich laut Max Caspar aber leider einige Fehler in seinen Veröffentlichungen eingeschlichen. So hat er teilweise unvollständige Brief-Korrespondenzen falsch gedeutet.
Vielleicht lag es aber auch an der schlecht lesbaren Handschrift Keplers, dessen Schriftstücke er in den vielen Jahren transkribierte. Dennoch war es laut Caspar eine „tüchtige Vorarbeit“, die man unbedingt nutzen und erweitern muss.
Karl Gustav Reuschle
Zur gleichen Zeit lebte Karl Gustav Reuschle (1812-1875), ein Professor für Mathematik, Physik und Geografie, der im Gymnasium in Stuttgart unterrichtete. Auch er schrieb eine Biografie über Johannes Kepler, die zu seinem 300. Geburtstag 1871 veröffentlicht wurde. Es existiert ein Nachdruck aus dem Jahre 2022 (ISBN 978-3368212216). Ich habe hier tatsächlich eine Originalausgabe von 1871 vor mir liegen, die mir mein Göttergatte zu einer bestandenen Prüfung schenkte:

Das ist definitiv keine leichte Kost: Es wurde in altdeutscher Schrift gedruckt und riecht wirklich authentisch…
Walther von Dyck

Von Dyck (1856-1934) war Professor an der Technischen Hochschule in München. Er regte 1914 auf einer Wiener Tagung eine Neuausgabe der Werke Keplers an, nachdem er die Jahre zuvor Nachforschungen in Bibliotheken und Archiven durchführte. Wieder war es ein Krieg, der die Wissenschaft ausbremste. Er sammelte aber immer weiter Informationen.
Das besondere dabei war, dass er die Kepler-Handschriften abfotografierte. So konnten diese Fotokopien für spätere Recherchen auch ohne physischen Zugriff auf die Originale genutzt werden. Etliche davon lagerten zu dieser Zeit in der Sternwarte von Pulkowo in Russland. Er stellte eine Sammlung von über 12.000 Blätter zusammen! Beeindruckend!
Max Caspar

Max Caspar (1880-1956) war ein Astronomiehistoriker, studierte Theologie und Mathematik und arbeitete als Mathematiklehrer verschiedenen Städten Süddeutschlands. Da er sehr gute Lateinkenntnisse hatte und von Kepler begeistert war, fing er an, dessen Werke aus dem Lateinischen ins Deutsche zu übersetzen.
Darunter war auf Keplers „Astronomia Nova“, die Caspar als „Neue Astrologie“ 1929 herausbrachte. Auch hier habe ich ein Original vor mir liegen. Die Schrift ist ein paar Jahre nach Reuschle gut lesbar, aber der Inhalt zeigt, wie abstrakt Kepler denken konnte. Und damit ist auch dieses Buch keine leichte Lektüre:

1926 wurde Walther von Dyck auf ihn aufmerksam und sie arbeiteten fortan zusammen. Max Caspar wurde für seine wichtige Arbeite 1934 vom würthembergischen Ministerpräsidenten freigestellt. Leider verstarb sein Kollege Walther von Dyck im gleichen Jahr.
Aber die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Bayerische Akademie der Wissenschaften gaben Caspar Rückhalt. Er bekam mehrere Arbeitskollegen zugeteilt: Georg Faber, Jonathan Zenneck, Ludwig Bieberbach, Franz Hammer, Konstantin Caratheodory, Karl Griewank, Hans Ludendorff und Eduard Schwartz für die Leitung. Die Herausgabe der Ergebnisse sollte Caspar verantworten.
Franz Hammer erwies sich dabei als sehr geschickt und brachte einzelne Bände heraus. So dauerte es nur noch 2 Jahre bis zur Veröffentlichung der Bibliographia Kepleriana im Frühjahr 1936. Der Leistung dieses Teams haben wir heute zahlreiche ins Deutsche übersetzte Schriften und Bände zu verdanken. Daher gilt Max Caspar auch als der Kepler Biograph des 20. Jahrhunderts.
Max Caspar selbst ist es ehrenwerterweise zuzuschreiben, dass heute im Geburtshaus Keplers in Weil der Stadt das Kepler-Museum besucht werden kann. Er gründete 1938 den Verein Keplerhaus und war dessen 1. Vorsitzender. Daher hat Casper auch den Titel „erster Ehrenbürger“ des Städtchens Weil der Stadt erhalten. Nach seinem Tod führte Franz Hammer die Arbeit fort.
Franz Hammer

Franz Hammer (1898-1969) war selbst ein promovierter Mathematiker, der ab 1929 als Oberbibliotheksrat und Wissenschaftshistoriker die Handschriftensammlungen und Bücher verwaltete. Wie bereits geschrieben hat er seit 1934 mit Max Caspar zusammengearbeitet und übernahm nach dessen Tod seine Arbeit.
Sehr bedeutend war seine Entdeckung eines Notizblatts von Wilhelm Schickard, der Kepler eine mechanische Rechenmaschine baute, die aber durch ein Feuer zerstört wurde. Das Notizblatt enthielt zum Glück eine Konstruktionszeichnung. Mit dessen Hilfe konnte die Maschine rekonstruiert werden. Einen originalgetreuen Nachbau des Exemplars kann man im Kepler-Museum in Weil der Stadt bewundern. Auch er hat für seine Verdienste die Ehrenbürgerschaft des kleinen Städtchens Weil der Stadt verliehen bekommen.
Martha List
Martha List (1908-1992) war eine Wissenschaftshistorikern. Sie arbeitete für Max Caspar und später mit Franz Hammer. Nach dessen Tod war sie verantwortlich und brachte 1975 den 19. Band der Werke Keplers heraus.
Volker Bialas
Volker Bialas (1938-heute) ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften in München. Er übernahm 1976 die Leitung der Herausgabe der Kepler Schriften. Als Naturwissenschaftler und Philosoph sieht er in Keplers Werken mehr als seine Vorgänger. Er brachte die „Gesammelten Werke“ von Johannes Kepler zwischen 1983 und 2009 mit heraus.
Das Ergebnis
Die Suche nach den Schriften und dem Wissen Johannes Keplers sollte mehrere Jahrhunderte dauern. Viele Menschen mit Geduld und Liebe zum Detail haben die Puzzleteile zusammengetragen. Das Kepler-Archiv der Kepler Gesellschaft hat bis 2017 ganze 780 Bände digital erfasst.
Und die 22 Bände, welche die Kepler Kommission von 1934 bis 2017 herausgegeben hat, kann man sich hier herunterladen und anschauen: Werke von Johannes Kepler. Etwas Latein ist dabei von Vorteil, denn das war eben die Gelehrtensprache seiner Zeit. Aber im Internet und in den Buchhandlungen eures Vertrauens gibt es zum Glück auch viele übersetzte Bücher. 😉
Wie ihr unschwer erkennen könnt bin ich ein Kepler-Fan und unheimlich dankbar, dass dieser großartige Mann diese Kenntnisse und Forschungsergebnisse auf diesen Planeten gebracht hat. Bedauerlicherweise erlebte er persönlich keine wirklich großen Durchbrüche. Natürlich hatte er immer wieder Förderer und ihm zugewandte Persönlichkeiten an seiner Seite. Dennoch geriet er mehrfach an Auftraggeber, die es mit der Zahlungsmoral nicht sehr genau nahmen und ihn so des Öfteren in finanzielle Schieflagen brachten.
Erst weit nach Keplers Tod 1630, kam erst allmählich ans Licht, wie bedeutsam seine Forschungsergebnisse sind. In der heutigen Raumfahrt sind seine Keplerschen Gesetze nicht mehr wegzudenken, ganz besonders bedeutungsvoll ist das 3. Gesetz.
Ein großartiger Wissenschaftler der nach meiner Meinung unbedingt gewürdigt werden sollte. Und das haben seine Biographen definitiv getan!
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